Die Türkei – ein Land auf zwei Kontinenten – ein Vielvölkerstaat mit zahlreichen regionalen Traditionen und einem reichen Kulturerbe, geprägt durch Einflüsse aus Ost und West.
Das Tor zum Orient und die Fantasie und Faszination vieler Europäer seit Jahrhunderten.
Doch was hat das alte Europa gemein mit einer so fremd erscheinenden Kultur? Eine ganze Menge! Und das nicht erst seit Kurzem.
Das Vorgängerimperium der heutigen türkischen Republik, das Osmanische Reich, war bis ins 19. Jahrhundert eine Großmacht. Diesen Einfluss spüren wir bis heute: Spuren lassen sich in ehemaligen Teilen des Reiches wie auf dem Balkan, Griechenland, Syrien, Ägypten, ja sogar in Ungarn und bis nach Algerien finden.
Verständlicherweise wird heute die ehemalige Besatzungsmacht dort sehr kritisch gesehen.
Dennoch finden wir musikalische, kulinarische und architektonische Gemeinsamkeiten, die aus heutiger Sicht verbinden.
Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches im ersten Weltkrieg formte sich unter der Führung von Mustafa Kemal ‘Atatürk’ ein gänzlich neuer moderner Staat, der bis heute Bestand hat.
Zusammen mit der neuen Republik wurde auch eine neue Leitkultur gesucht und in der anatolischen Volksmusik gefunden.
Diese galt es auch in der Kunstmusik zu verarbeiten, aber in einer westlich orientierten Weise, um mit den Vorbildern in Europa mitzuhalten.
Junge türkische Künstler wurden mit Stipendien ausgestattet und nach Europa in die pulsierenden Kulturzentren jener Zeit entsandt: Nach Paris, Wien, Berlin und London. Dieses kühne Vorhaben gelang und brachte eine einzigartige Symbiose aus westlicher Tonkunst und nahöstlicher Tradition hervor. Die berühmtesten Komponisten dieser Pionier-Generation werden ‘Die Türkischen Fünf’ genannt: Cemal Reşit Rey, Ahmet Adnan Saygun, Hasan Ferit Alnar, Ulvi Cemal Erkin, und Necil Kazım Akses.
Die Musikausbildung der jungen Nation wurde in die Hände eines uns bekannten Deutschen gelegt: Paul Hindemith gründete 1936 in Ankara die erste Musikhochschule des Landes und nahm sich des Ausbildungssystems an – mit großem Erfolg, das Staatskonservatorium der Universität Ankara ist heute eine ernstzunehmende Institution, sogar im europäischen Vergleich. Istanbul beherbergt sogar zwei exzellente Ausbildungsstätten klassischer Musik.
Doch die Tradition ‘westlicher’ Musik reicht viel weiter zurück als die Gründung der Republik.
Schon gefangene Künstler aus Feldzügen wie der Pole Wojciech Bobowski (1610-1675) türkisch Ali Ufki brachten die Notensprache an den Hof der Sultane.
Europäische Staaten versuchten mit Geschenken den Sultan des rapide expandierenden Reiches milde zu stimmen: Spektakulär ist die Geschichte von einer Orgel die 1599 von Queen Elizabeth I. aus England nach Istanbul geschickt wurde (mit Erfolg übrigens).
Durch die türkischen Eroberungskriege gelangten auch die militärischen Musiktraditionen nach Europa und damit Instrumente wie die Klarinette oder das mächtige Schlagwerk.
Das Kräfteverhältnis kehrte sich jedoch mit dem Lauf der Geschichte um und das Osmanische Reich schrumpfte zusehends und verschuldete sich bei den europäischen Großmächten. Mit den Geschäftsleuten kamen auch die europäischen Gepflogenheiten in die Türkei:
Allen voran wurde die Machtzentrale Istanbul europäisiert – durch Architektur, Cafés, Kunst und nicht zuletzt Musik. Schon in den 1820ern entledigte sich Sultan Mahmud II. seiner Elitetruppe der Janitscharen und damit seiner Militärkapelle – ein würdiger Ersatz musste her und der große Name Donizetti kam ins Spiel: Der Bruder des großen Opernkomponisten Gaetano Giuseppe Donizetti war ein ebenso talentierter Musiker und übernahm als Generalmusikdirektor 1828 die musikalischen Angelegenheiten am Hofe des Sultans. Damit war die türkische Tradition endgültig gebrochen und die Kultur wurde zunehmend verwestlicht.
Nicht nur Musiker sondern auch Maler und Poeten fanden Ihren Weg nach Istanbul in einer Zeit des romantischen Niedergangs.
Die Nachfolgeherrscher widmeten sich mehr den europäischen Künsten statt dem Regierungsalltag – was freilich interessant für die Entwicklung der Kultur war, jedoch weniger günstig für das Reich.
Die Sultane erhielten Kompositionsunterricht schon seit Donizetti und hinterließen einige interessante Werke im Stile der türkischen Kunstmusik und der europäischen Miniaturen wie Walzer.
Führende Künstler aus Europa wurden eingeladen, um in Istanbul zu musizieren: Pjotr Tschaikowski, Franz Liszt, Henri Vieuxtemps und in einer denkwürdigen Weise Henryk Wieniawski. Letzterer durfte 1869 vor Sultan Abdül Aziz ein exklusives Privatkonzert geben – doch dieser konnte nicht genug bekommen und ließ ihn bis zur völligen Erschöpfung 22 Werke hintereinander spielen, nur für ihn allein.
Dieser Sultan verließ als erster überhaupt sein Reich und machte sich zu den Weltausstellungen nach Paris und London auf. Er öffnete sein Land nach außen und brach mit alten Gewohnheiten, doch die Reformen waren vergebens und das Reich zerfiel unaufhaltsam auch durch die Freiheitskämpfe vieler ehemaliger Provinzen.
Was bleibt ist ein schwieriges historisches Erbe, aber eine spannende Kulturgeschichte in einem Land zwischen zwei Welten.
Die moderne Republik ab 1923 gab der Türkei ihr heutiges Gesicht. Die neuen Komponisten und Interpreten in zweiter und dritter Generation eroberten und erobern zusehends die Musikszene indem sie auch die wichtigsten Preise der Welt gewinnen: Fazıl Say ist heute jedem Konzertgänger ein Begriff, Ahmed Adnan Saygun wird als türkischer Szymanowski bezeichnet, İlhan Usmanbaş gewann den UNESCO Kompositionspreis und den letzten Wieniawski-Violinwettbewerb gewann eine junge türkisch-georgische Geigerin (Veriko Tchumburidze).
In den führenden deutschen Orchestern sind türkische Musiker/innen zu finden und das Musikleben in der Türkei weitet sich aus, trotz politischer Schwierigkeiten und Kulturgegnern.
Seit Beginn sind türkische Künstler/innen fester Bestandteil von Culture Connects.
Die Gründer von Culture Connects reagierten unmittelbar vor Ort auf den Juliputschversuch 2016 und wirkten trotz militärischer Ausgangssperre im AIMA Festival in Ayvalık mit und organisierten in Istanbul ein Sonderkonzert.
Denn Kultur lässt sich nicht unterwerfen.
2017 folgte dann der legendäre ausverkaufte Abend im Bremer Konzerthaus Die Glocke mit gewaltigem Echo und im Sommer desselben Jahres ein Konzert der Culture Connects Violinquartetts in Istanbul mit Gastkünstlern aus Belarus und Russland, die zum ersten Mal im Leben dort waren.
2018 folgte dann die offizielle Zusammenarbeit mit dem AIMA Festival in Ayvalık in Form einer EU-Finanzierung durch CULTURE CONNECTS und der Entsendung zweier Solistinnen aus Bremen, die mit dem Festivalorchester zum Highlight des Festivals auftraten – darüber wurde in der größten türkischen Tageszeitung ausführlich berichtet.
2019 initiierten wir ein Türkisch-Französisches Festival in Kooperation mit dem Institut français in Bremen und einem türkischen Kulturverein mit Gastkünstlern aus der Türkei.